Personenzentrierte Psychotherapie

Psychotherapie bedeutet für mich als Therapeutin vor allem das Privileg,
bei höchst individuellen Prozessen begleitend dabei sein zu dürfen, wenn KlientInnen versuchen, in einem Klima ohne jeglicher Bedrohung oder Bewertung ihrer Person, ihre Probleme, Gefühle und Verhaltensmuster zu ergründen und zu verstehen. Dabei wird vieles in Frage gestellt, Neues entdeckt und es werden neue Wege ermöglicht. Die dafür notwendige tiefe, Halt-gebende Beziehung von Person zu Person, definiert durch Wertschätzung und Echtheit, um die ich mich als Therapeutin stets bemühe, erfahre ich als äußerst bereichernd.

Diese neue Begegnungserfahrung sollte Ihnen einen freieren Zugang zu sich selbst ermöglichen. Mit mehr Selbstvertrauen, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit definieren und gestalten Sie Ihre Beziehungen unter ganz neuen Voraussetzungen.

Als Person tragen Sie viele Möglichkeiten, Fähigkeiten und Potenziale in sich. Sie sind von Geburt an auf Beziehungen zu anderen Menschen angewiesen. Persönliche oder berufliche Entwicklungen finden immer mit Unterstützung und Förderung von Familie, FreundInnen und KollegInnen statt. Ein aktives Gegenüber macht dieses Wachstum erst möglich. Wenn Sie diesen Rückhalt nicht in Ihrem Umfeld finden, kann die Psychotherapie einen großen Beitrag zur Bewältigung aktueller Herausforderungen leisten.

Personenzentrierter Ansatz

(Auch bekannt als Person(en)zentrierte Psychotherapie, Klienten zentrierte Psychotherapie, Rogerianische Psychotherapie, Gesprächs(Psycho)Therapie)

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Als personenzentrierte Psychotherapeutin gehe ich davon aus, dass der Mensch ein natürliches Bedürfnis nach Weiterentwicklung und Entfaltung seiner Fähigkeiten hat. In der personenzentrierten Theorie spricht man von der sog. Aktualisierungstendenz, die das Verhalten jedes Menschen konstruktiv steuert. Ist das Verhalten eines Menschen destruktiv oder kann er seine Fähigkeiten nicht voll entfalten, so sind es meistens die Bedingungen im Umfeld, welche die Aktualisierungstendenz behindern.

Im Laufe des Erwachsenwerdens macht der Mensch Erfahrungen. Jede subjektive Erfahrung, ob bewusst oder unbewusst, trägt zur Entstehung des Selbstkonzepts des Individuums bei. Bei einer bewussten Erfahrung spricht man von Symbolisierung, weil ein bestimmtes „Symbol“ für ein Gefühl, für eine Empfindung steht. Auch gibt es sehr viele Erfahrungen, die unbewusst erlebt werden, die keiner bestimmten Person oder keinem bestimmten Gegenstand zugeordnet werden können. Genauso wie die Aktualisierungstendenz dem Menschen lebenslang innewohnt, so sammelt er mit jedem Tag neue Erfahrungen.

Das Selbstkonzept ist das Bild, das jeder Mensch von sich selbst hat. Es entsteht durch die Erfahrungen, die jeder Mensch mit sich selbst und in Interaktion mit der Umwelt macht. Das Selbst ist ein Prozess, es ist nichts festes und starres. Es ändert sich mehr oder weniger stark durch laufende Erfahrung Die Persönlichkeit eines Menschen ist also nie gleich. Einstellungen, Bedürfnisse, Gefühle, Interessen usw. ändern sich im Laufe des Lebens. Diese Veränderung variiert mit dem Lebensalter, der Situation und durch Interaktion mit unserer sozialen Umwelt. Die Aktualisierungstendenz trägt auch ihren Teil zur Entwicklung des Selbst bei. Stimmt das Selbst einer Person mit dessen Erleben überein, d.h. werden die gesammelten Erfahrungen zugelassen und ins Selbst integriert, so spricht man von Kongruenz. Der Mensch ist sich seiner Gefühle und Bedürfnisse bewusst und lebt diese aus. Von Inkongruenz spricht man im personenzentriertem Ansatz hingegen, wenn das Selbst und die Erfahrungen nicht miteinander übereinstimmen, wenn Gefühle und Gedanken bzgl. des Erlebten nicht ins Bewusstsein zugelassen werden. Subjektiv erlebt diese Person, dass mit ihr etwas anderes vorgeht, als sie will. Sie ist inkongruent. Die Person will ein Selbst aktualisieren, das nicht mit der Erfahrung übereinstimmt, weshalb diese abgewehrt werden.

Ein weiterer Aspekt des personenzentrierten Ansatzes ist der des Angewiesenseins auf das Du, die Notwendigkeit eines Gegenüber. Das bedeutet, dass sich der Mensch nur in entsprechenden Beziehungen konstruktiv entwickeln und Fehlentwicklungen korrigieren kann. Carl Rogers spricht bei der wechselseitigen Anerkennung als Person von „personaler Begegnung“, eine wichtige Variable des Therapeutenverhaltens. Doch nicht nur in der Therapie, auch in anderen Lebensbereichen ist diese Beziehung zwischen zwei oder mehreren Menschen von größter Bedeutung für das menschliche Zusammenleben. In „Die Kraft des Guten“ beschreibt Rogers, dass der personenzentrierte Ansatz in Eltern-Kind-Beziehungen ebenso wie in Lehrer-Schüler-Beziehungen, in der öffentlichen Verwaltung, der Politik und in der Partnerschaft Anwendung findet.

Ab den 70ziger Jahren leitete Rogers selbst  „Encountergruppen“, in denen Menschen den Umgang miteinander auf der Grundlage des personenzentrierten Ansatzes lernten. Es wird auch aufgezeigt, dass die sog. Therapeutenmerkmale in der Therapie (Echtheit, Empathie, Wertschätzung) ebenso in jeder anderen Beziehung zwischen Menschen Bestand haben und angewendet werden können.

Aus personenzentrierter Sicht bedeutet die Therapeuten–Klienten–Beziehung in erster Linie „Hilfe zur Selbsthilfe“. Der Therapeut vertraut auf die natürlichen Entwicklungsprozesse des Klienten. Es ist wichtig für den Therapeuten, mit dem Klienten selbst nach Lösungen zu suchen und dabei auf den Klienten als Experten für sein Leben zu vertrauen. Dabei steht nicht das eigentliche Problem im Mittelpunkt des Gespräches, sondern der Klient mit seinen Gefühlen und seinem Erleben.

Die drei wichtigsten Grundsteine der personenzentrierter Haltung sind:

1. Kongruenz/Echtheit:

Dies bedeutet, dass der Therapeut sich selbst und dem Klienten gegenüber kongruent und echt ist. Er soll sich weder hinter der Therapeutenrolle verstecken noch den Klienten von oben herab betrachten. Nicht der Therapeut zeigt dem Klienten den richtigen Weg, sondern beide sind gleichberechtigt und suchen zusammen nach Lösungen. Rogers benutzt den Begriff Transparenz wenn er sagt, dass das Erleben des Therapeuten und seine Kommunikation mit dem Klienten übereinstimmen soll. Durch dieses Verhalten des Therapeuten wird er vom Klienten als echt bzw. kongruent erlebt. Dies trägt dazu bei, dass der Klient sich wohl fühlt und eher bereit ist seine Gefühle zu äußern.

2. Bedingungsfreie Wertschätzung:

Der Therapeut hat und äußert keinerlei Wertungen und Urteile über den Klienten und dessen Verhalten. Er begegnet dem Klienten in seiner ganzen Person, mit Wertschätzung. Rogers spricht in diesem Zusammenhang auch von bedingungsfreier positiver Zuwendung. Dies meint aber nicht, dass der Therapeut alles gutheißen soll, was der Klient tut oder sagt. Diese Einstellung lässt sich mit jener von Eltern ihrem Kind gegenüber vergleichen. Eltern lieben ihr Kind, auch wenn sie nicht mit jedem Verhalten einverstanden sind. Gerade in der Erziehung wird auch deutlich, welchen Schaden eine an Bedingungen gebundene Wertschätzung anrichten kann, wenn Eltern ihre Wertschätzung des Kindes etwa von dessen Leistungen oder Wohlverhalten abhängig machen.

3. Empathie:

Empathie bedeutet Einfühlung in die Erlebniswelt des Klienten. Der Therapeut versucht sich voll und ganz auf die Gefühle des Klienten einzulassen und diesen zu verstehen. Rogers spricht von innerem Bezugssystem des Klienten und meint damit dessen Gefühle, Gedanken und Erleben. Empathie ist wohl die größte Herausforderung der drei Merkmale, weil es weder oberflächliches Verstehen bedeutet, noch interpretierendes, kognitives Verstehen oder Mitleid. Es geht einfach nur um den Versuch, die Gefühle des Klienten nachzuvollziehen. Eine Voraussetzung für Empathie ist das aktive Zuhören, d.h. eine konzentrierte Aufmerksamkeit, auf das wirklich Gemeinte und nicht nur das Gesagte. Der Therapeut soll verstehen, was der Klient meint, soll aber nicht urteilen, interpretieren oder Rückschlüsse auf das Verhalten ziehen. Bemerkt der Klient, dass er verstanden wird, so wird er sich mehr und mehr öffnen.

Das eigentliche Ziel der Therapie ist es, gemeinsam eine Änderung im Verhalten und Erleben des Klienten zu erzielen. Am Anfang geht es darum, den Klienten zur Selbstexploration zu bringen, d.h. der Klient soll in Berührung mit der eigenen Gefühlswelt kommen und darüber sprechen. Hier ist allerdings die gegenwärtige Situation entscheidend und nicht Vergangenes, denn personenzentrierte Psychotherapie ist auf den Menschen und nicht auf das Problem bzw. auf das jeweilige Symptom bezogen. Die gemeinsame Begegnung und das Gespräch sollen dem Klienten helfen, mit seiner Situation besser klar zu kommen. Es muss nicht zur vollständigen Lösung des Problems oder der Störung führen.
Rogers beschreibt die Therapie auch als einen Entwicklungsprozess.

Die Änderungen des Verhaltens stellen sich von selbst ein, sobald der Klient sich seiner Inkongruenz bewusst wird bzw. gelernt hat, diese in seinem Selbst zu überwinden. Eine tragende Rolle dabei hat die vertrauensvolle, gleichgestellte und Halt-gebende Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Der Therapeut muss bereit sein, sich in den Klienten einzufühlen, ein echtes Interesse zuzuhören muss vorhanden sein.
Rogers spricht davon, dass der Therapeut den Wunsch haben sollte, den Klienten kennen zu lernen und nicht nur helfen zu wollen. Der Therapeut ist dem Klienten gegenüber nicht der Experte, der Musterlösungen bietet, sondern offenbart sich dem Klienten ebenfalls als eine Person mit Gefühlen und Schwächen. Der Klient lernt sich so anzunehmen wie er ist, auch die schlechten Eigenschaften und Gefühle. Durch die Wertschätzung, die ihm der Therapeut entgegenbringt, lernt er sich selbst wertzuschätzen.

Möglicherweise macht es auf dem ersten Blick den Anschein, der personenzentriete Ansatz der Psychotherapie wäre nahezu simpel.
Durch die Haltung des Therapeuten, wie sie durch die drei Grundbedingungen definiertert ist, soll sich eine optimal entfaltete Persönlichkeit entwickeln. Die durchgehende, konsequente Einhaltung dieser Bedingungen und das Entdecken der Persönlichkeit des Gegenübers stellt aber nicht selten eine echte Herausforderung dar.

Die Tatsache, dass personenzentrierte Arbeitsweise keine starren Techniken vorgibt, macht es dem Therapeuten möglich, seinen eigenen Stil und seine eigene Arbeitsweise zu entwickeln. Jedem KlientIn kann individuell, als einem einzigartigen Individuum begegnet werden, was der personenzentrieten Haltung zutiefst entspricht. Nicht ein rigides Konzept, sondern die Beziehung zwischen zwei Personen bestimmt die Art der Vorgangsweise. Solange die drei Grundbedingungen eingehalten werden, ist alles möglich.

Ich bin der Meinung, dass die personenzentriete Haltung auch als Basis aller anderen Psychotherapiemethoden dienen sollte, da ich mir nicht vorstellen kann, dass ohne diese Bedingungen ein heilsamer, der Entfaltung der Persönlichkeit dienlicher Prozess entstehen kann.
Diese Art heilsamer Beziehung ermöglicht es, Widerstand aufzugeben, die Maske fallen zu lassen um sich selbst und anderen näher zu kommen.

  • Rogers, Carl, Schmid, Peter F., Person-zentriert; Mainz, 1991
  • Rogers, Carl, On becoming a person, München, 1961
  • Kollbrunner, Jörg, Das Buch der humanistischen Psychologie, Eschborn,1987
  • Frenzel, Peter, Schmid, Peter F, Winkler, Marietta, Handbuch der Personenzentrierten Psychotherapie; Köln, 1992
  • Rogers, Carl, Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschichen Beziehungen, Köln, 1987
  • Bommert, Hanko, Grundlagen der Gesprächspsychotherapie, Stuttgart, 1977
  • Rüdiger Minsel, Wolf, Praxis der Gesprächspsychotherapie, Reinheim, 1979
  • Rogers, Carl, Die Kraft des Guten, München, 1978
  • Rogers, Carl, Die nicht-direktive Beratung, München, 1972